Während die internationale Gemeinschaft sich daranmacht, den Kosovo dauerhaft zu befrieden, verweigern die verfeindeten Volksgruppen der Serben und Albaner ihre Mitarbeit. Auch die anstehende Wahl kann sie nicht aus ihren Traumwelten herausreißen.
Mit Lesen und Fernsehen - tagein, tagaus - verbringt Milos Nedic sein Leben in der Turnhalle der deutschen Kfor-Truppen in Prizren. Gemeinsam mit weiteren 80 Kosovo-Serben fand er hier im März Unterschlupf vor einem rasenden Mob albanischer Extremisten. Für ihn und noch immer 30 Leidensgefährten sind die deutschen Kasernen - eingezäunt von Stacheldraht, gesichert durch mächtige Barrieren und schwer bewaffnete Posten - eine neue Heimat, jedenfalls so lange, bis ihre niedergebrannten Häuser wieder aufgebaut sind.
Einmal in der Woche haben die Flüchtlinge Ausgang. Dann begleiten die deutschen Soldaten ihre Schutzbefohlenen zum Einkauf in ein Warenhaus. Und weil sich die Truppen Vorwürfe anhören mussten, sie hätten vor einem halben Jahr beim Schutz der serbischen Minderheit schmählich versagt, achten sie jetzt peinlichst darauf, dass niemandem auch nur ein Haar gekrümmt wird.
Wenn der 75-jährige Nedic etwa nach geistlichem Beistand verlangt, bringen ihn die Kfor-Soldaten ins zerstörte Kloster vom Heiligen Erzengel, dessen Mönche noch immer in Behelfshütten und Zelten leben, während freiwillige Helfer sich am Wiederaufbau des Kirchenkomplexes beteiligen. Nedic zeigt ein 90 Jahre altes Foto seines Vaters im Kreis von Honoratioren aus Prizren: Türken, Bosnier und Serben posieren darauf gemeinsam mit Albanern. Soll heißen: Der albanische Anspruch auf ein eigenständiges Kosovo ist historisch ungerechtfertigt. Derzeit demonstrieren ausgerechnet Serben, die das Kosovo als Kernland ihrer Nation reklamieren, für Völkervielfalt und Verständnis.
Dann zeigt Nedic, der durchaus kein sanfter Anwalt von Ausgleich und Versöhnung ist, Bilder von seinem zerstörten Haus im Zentrum von Prizren. Fünf Jahre lang, seit der Nato-Bombardierung von 1999, hatte er es nicht mehr verlassen, hatte sich vor den albanischen Nachbarn verbarrikadiert und nur dank humanitärer Hilfe überlebt. Doch am 17. März war der Mob dann über ihn hergefallen, hatte mit Äxten die Türen zertrümmert, auf welche die Durchhalteparole gemalt war: "Ich verkaufe mein Haus nie." Nur mit Hilfe der Polizei sei ihm die Flucht über die Dächer von zwei Nachbarhäusern hinweg gelungen.
Seither ist Nedic ganz zufrieden mit der Obhut der "Internationalen", und er ist sich ganz sicher: Niemals werden die ein unabhängiges Kosovo zulassen. Eines Tages will er in sein wieder errichtetes Haus zurückkehren - er streitet gerade mit der Wiederaufbaubehörde über Ausstattungsdetails - selbst dann, wenn ihm die albanischen Nachbarn immer noch an den Kragen gehen.
Die Mehrzahl seiner 30 Leidensgefährten in der Kfor-Kaserne teilt diesen Vorsatz nicht. Sie wollen schnellstmöglich das Kosovo verlassen - jedenfalls sobald sie ihre wieder aufgebauten Häuser verkauft haben. Sie sind überzeugt, dass auch die Parlamentswahl am Sonnabend den Unruheherd Kosovo nicht in eine Oase friedlichen Zusammenlebens verwandeln kann.
32 Parteien und Bündnisse werden bis dahin um 120 Abgeordnetensitze kämpfen. Bei der letzten Parlamentswahl 2001 hatte die Partei von Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova 45,6 Prozent erzielt und zusammen mit den Parteien der ehemaligen Guerillakämpfer Hashim Thaçi und Ramush Haradinaj die Regierung gebildet. Die ist zwar zutiefst zerstritten, gleich mehrere Notabeln aus der Rugova-Partei verloren bei Attentaten ihr Leben. In einem Punkt aber waren sich selbst Mitglieder, die sich auf undurchsichtigen Wegen von alten Kämpfern in offenbar gut verdienende Wirtschaftsmagnaten verwandelt haben, stets völlig einig: Das Kosovo muss unabhängig, also albanisch werden. Die 22 serbischen Volksvertreter gaben dem Parlament zwar multiethnische Legitimität, Einfluss hatten sie nicht.
Und daran wird sich auch kaum etwas ändern. Die Position der Serben wird sich allenfalls verschlechtern, weil sie von den meisten Politikern aus Belgrad zum Wahlboykott aufgerufen wurden und deshalb voraussichtlich weniger Delegierte als bisher in die Volksvertretung entsenden werden. Solange sie weiterhin von Albanern malträtiert werden, das haben viele Serben erkannt, wird die internationale Gemeinschaft zögern, das Kosovo endgültig den Albanern zu übergeben.
Und die setzen ihrerseits alles daran, Gespräche mit den Serben zu verhindern. Ministerpräsident Bajram Rexhepe und die ehemaligen UÇK-Gladiatoren Thaçi oder Haradinaj berauschen ihre Anhänger auf Wahlveranstaltungen mit dem Versprechen, das Kosovo werde schon bald unabhängig sein. Im Herbst 2005 sei es so weit, und eine Verfassung werde bereits geschrieben, erklärt der ehemalige Bodybuildingtrainer, Bewacher von Geldtransporten, Disco-Rausschmeißer und Kriegsheld Haradinaj im Dorf Junik auf einer Wahlversammlung. Auch eine eigene Armee stehe schon bereit, verkündet er - das 5000 Mann starke Kosovo-Schutzkorps, das sich vor allem aus ehemaligen UÇK-Kämpfern zusammensetzt. Es sollte eigentlich, so hatte sich jedenfalls die Uno das gedacht, als multiethnische Einsatztruppe Serben wie Albaner schützen.
Finster blickende junge Männer, das Kinn energisch vorgestreckt, lassen zu solchen Parolen die roten Fahnen mit dem albanischen Adler im Wind flattern, und die örtlichen islamischen Gemeindevorsteher sitzen in der ersten Reihe. Von einer Rückkehr der Serben in ihre Heimat ist auf solchen Veranstaltungen nicht die Rede, selbstverständlich auch nicht von dem Gerücht, der Redner Haradinaj könne jener "hohe albanische Politiker" sein, welchen die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte noch in diesem Jahr vor das Uno-Tribunal stellen will. Die Juristin klagt darüber, dass sie für ihre Ermittlungen gegen frühere UÇK-Kämpfer nicht einmal bei den Uno-Verwaltern Unterstützung erhält.
Nur wenige Stimmen bedauern das Trauerspiel ethnischer Unversöhnlichkeit. Der Arzt Bujar Bukoshi ("Ich würde die gesamte derzeitige Führung verhaften") oder der Medienunternehmer und Multimillionär Veton Surroi treten zwar auch mit eigenen Parteien an, können aber nur in größeren Städten - und bei der internationalen Gemeinschaft - auf Wohlwollen hoffen. Doch 70 Prozent der albanischen Bevölkerung leben auf dem Lande.
Bukoshi und Surroi sehen die Hauptaufgabe für kosovarische Politiker in der Bekämpfung der Wirtschaftsmisere und einer Arbeitslosigkeit, die bereits sieben von zehn Kosovaren betrifft. Sie überleben vor allem dank der Geldüberweisungen aus dem Ausland oder durch Schwarzarbeit und Schmuggel. In spätestens einem halben Jahr, prophezeit Surroi, werde es nach einem harten Winter eine "soziale Explosion" geben. Dann könnten auch die Büros der Uno-Verwaltung brennen.
Hinzu kommt die unaufhaltsam steigende Kriminalität. Kosovo sei das Zentrum des Drogenschmuggels, behauptet nicht nur der ehemalige Chef des Zollteams zur Schmuggelbekämpfung, Bedri Shabani. Mindestens das Doppelte des Kosovo-Haushalts gehe jährlich allein durch den Schmuggel von Zigaretten, Kaffee, Öl und Benzin verloren. Neue, hochmoderne Tankstellen entstehen überall im Land, an manchen Straßen buchstäblich alle 300 Meter eine.
Shabani behauptet, er habe ohne jeden Erfolg die Unmik jahrelang mit konkreten Angaben über die Schmuggelrouten sowie über die Hintermänner informiert und darüber sogar seinen Job verloren. Zu Unrecht, befand jetzt ein Gericht. Zurück beim Zoll, begrüßt er seine Gäste mit einem bitteren "Willkommen in Kolumbien".
Die meisten Albaner hoffen darauf, dass bei den Verhandlungen über den endgültigen Status der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden Provinz die Amerikaner schon im nächsten Jahr die Unabhängigkeit des Kosovo durchsetzen. Die Begeisterung für die Schutzmacht, die 1999 den Nato-Einsatz gegen Jugoslawien anführte, ist noch immer ungebrochen. Sehr viel häufiger als etwa die EU-Flagge weht das amerikanische Sternenbanner neben der schwarzroten Albanerfahne. Am Bill-Clinton-Boulevard in der Hauptstadt Pristina grüßt überlebensgroß der Ex-Präsident von einer Hauswand herab. Auf dem Dach des Victory-Hotels wird nachts eine Kopie der Freiheitsstatue angestrahlt.
Und selbst wenn die meisten Albaner "sehr wohl wissen, dass die Zukunft des Kosovo in Europa liegt", wie der neue Unmik-Verwalter Sören Jessen-Petersen versichert, geht es ihnen zunächst einmal ausschließlich um den eigenen Staat. Der scheint ihnen seit den März-Unruhen näher gerückt, auch wenn sie sich jetzt gegen den Vorwurf verteidigen müssen, ihrerseits ethnische Minderheiten zu verfolgen.
Schon versprach der amerikanische Präsidentschaftskandidat John Kerry den Kosovo-Albanern die Selbstbestimmung; der ehemalige US-Vermittler Richard Holbrooke äußerte sich noch eindeutiger: Das Kosovo werde unabhängig sein - mit oder ohne die Zustimmung Serbiens. Aber auch in Deutschland scheinen solche Ansichten Freunde zu gewinnen. Vor der jüngsten Kosovo-Reise von Verteidigungsminister Struck hieß es bei Berliner Diplomaten, "dass eine Wiedereingliederung in Serbien keine Lösung sein kann". Der ehemalige Kfor-Kommandeur Klaus Reinhardt befürchtet für diesen Fall einen neuen Krieg.
Für den neuen Kommandeur der deutschen Kfor-Truppen in Pristina, Oberst Erhard Bühler, wäre das eine Horrorvorstellung. Allen sei klar, sagt Bühler, dass man sich weitere Unruhen wie die vom März nicht mehr leisten könne. Damals waren bei den Ausschreitungen 19 Menschen getötet, über 900 verletzt und serbische Kirchen sowie Klöster zerstört worden.
Die 3300 Soldaten im deutschen Kontingent werden deshalb verstärkt für den "Einsatz gegen Demonstranten" trainiert. Pfefferspray traf in diesen Tagen ein, Ausgangssperren für zehn Städte wurden für den "Ernstfall" vorbereitet. 1200 Soldaten können dann innerhalb von 15 Minuten in Prizren sein.
Oberst Bühler hat keine Illusionen: "Die Lage ist unberechenbar, und da die ethnischen Konflikte nicht gelöst sind, ist auch das Unruhepotenzial nicht verschwunden. Die ehemalige UÇK hat noch riesige Waffenlager im Kosovo, alle Einsammelaktionen der Unmik waren ein Flop."
Die mangelnde Bewegungsfreiheit für die Serben lasten viele Kfor-Soldaten wie Uno-Verwalter allerdings nicht nur albanischer Bedrohung an. Auch serbische Nationalisten, allen voran der orthodoxe Bischof Artemije, richten sich in ihrer Opferrolle ein und rüsten die serbischen Enklaven zu Hochburgen eines militanten Nationalismus heran. In diesen von Nato-Stacheldraht gesicherten Zwergstaaten innerhalb des Kosovo, in denen weiterhin der Dinar an Stelle des Euro als Zahlungsmittel dient, wird die Ära des Despoten Slobodan Milosevic gefeiert, als erwarte man täglich dessen glorreiche Rückkehr aus Den Haag.
Auf dem traditionellen Weinfest in Velika Hodza bei Orahovac wurde vergangene Woche nicht nur der berühmt-berüchtigte Amselfelder ausgeschenkt. Einträchtig riefen Kirchenfürsten, Musikgruppen oder Folkloretänzer zum Wahlboykott auf und versprachen, eines Tages werde Kosovo Polje, das historische Schlachtfeld der serbischen Niederlage gegen die Türken, wieder serbisch sein. Am Mittwoch demonstrierten 1000 Kosovo-Serben vor dem Amtssitz des serbischen Präsidenten Boris Tadic in Belgrad gegen dessen Aufruf zur Teilnahme an der Wahl. Bezahlt wurden die Busse aus der Haushaltskasse seines Gegenspielers, des Premiers Voijislav Kostunica, der den Boykott unterstützt.
Die Mehrheit der Serben innerhalb und außerhalb der umstrittenen Provinz könnte sich inzwischen wohl mit einer Teilung der Provinz abfinden. Serbiens Expremier Zoran Zivkovic behauptet jedenfalls, er habe während seiner Amtszeit mit der internationalen Gemeinschaft darüber bereits geheime Gespräche geführt. Auch der ehemalige Außenminister Goran Svilanovic warf der Belgrader Regierung vor, sie wisse längst, dass die verlorene Provinz nicht serbisch bleiben könne.
Sollte jedoch das ganze Kosovo eines Tages unabhängig - und damit albanisch - werden, dann wäre ein Exodus der verbliebenen knapp 90 000 Serben nicht mehr aufzuhalten. Auch Milos Nedic aus Prizren, der bislang eisern auf die Rückkehr in sein erst noch aufzubauendes Haus setzt, reagiert auf die Vorstellung eines unabhängigen Kosovo mit Entsetzen: Ganz ausgeschlossen sei das, in einem solchen Staat könne er niemals leben. Vater German, sein geistlicher Beistand und Monarch des Klosters zum Heiligen Erzengel, nickt dazu beifällig.
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Krisenprovinz vor neuen Unruhen
Von Renate Flottau und Hans Hoyng
Während die internationale Gemeinschaft sich daranmacht, den Kosovo dauerhaft zu befrieden, verweigern die verfeindeten Volksgruppen der Serben und Albaner ihre Mitarbeit. Auch die anstehende Wahl kann sie nicht aus ihren Traumwelten herausreißen.
Mit Lesen und Fernsehen - tagein, tagaus - verbringt Milos Nedic sein Leben in der Turnhalle der deutschen Kfor-Truppen in Prizren. Gemeinsam mit weiteren 80 Kosovo-Serben fand er hier im März Unterschlupf vor einem rasenden Mob albanischer Extremisten. Für ihn und noch immer 30 Leidensgefährten sind die deutschen Kasernen - eingezäunt von Stacheldraht, gesichert durch mächtige Barrieren und schwer bewaffnete Posten - eine neue Heimat, jedenfalls so lange, bis ihre niedergebrannten Häuser wieder aufgebaut sind.
Einmal in der Woche haben die Flüchtlinge Ausgang. Dann begleiten die deutschen Soldaten ihre Schutzbefohlenen zum Einkauf in ein Warenhaus. Und weil sich die Truppen Vorwürfe anhören mussten, sie hätten vor einem halben Jahr beim Schutz der serbischen Minderheit schmählich versagt, achten sie jetzt peinlichst darauf, dass niemandem auch nur ein Haar gekrümmt wird.
Wenn der 75-jährige Nedic etwa nach geistlichem Beistand verlangt, bringen ihn die Kfor-Soldaten ins zerstörte Kloster vom Heiligen Erzengel, dessen Mönche noch immer in Behelfshütten und Zelten leben, während freiwillige Helfer sich am Wiederaufbau des Kirchenkomplexes beteiligen. Nedic zeigt ein 90 Jahre altes Foto seines Vaters im Kreis von Honoratioren aus Prizren: Türken, Bosnier und Serben posieren darauf gemeinsam mit Albanern. Soll heißen: Der albanische Anspruch auf ein eigenständiges Kosovo ist historisch ungerechtfertigt. Derzeit demonstrieren ausgerechnet Serben, die das Kosovo als Kernland ihrer Nation reklamieren, für Völkervielfalt und Verständnis.
Dann zeigt Nedic, der durchaus kein sanfter Anwalt von Ausgleich und Versöhnung ist, Bilder von seinem zerstörten Haus im Zentrum von Prizren. Fünf Jahre lang, seit der Nato-Bombardierung von 1999, hatte er es nicht mehr verlassen, hatte sich vor den albanischen Nachbarn verbarrikadiert und nur dank humanitärer Hilfe überlebt. Doch am 17. März war der Mob dann über ihn hergefallen, hatte mit Äxten die Türen zertrümmert, auf welche die Durchhalteparole gemalt war: "Ich verkaufe mein Haus nie." Nur mit Hilfe der Polizei sei ihm die Flucht über die Dächer von zwei Nachbarhäusern hinweg gelungen.
Seither ist Nedic ganz zufrieden mit der Obhut der "Internationalen", und er ist sich ganz sicher: Niemals werden die ein unabhängiges Kosovo zulassen. Eines Tages will er in sein wieder errichtetes Haus zurückkehren - er streitet gerade mit der Wiederaufbaubehörde über Ausstattungsdetails - selbst dann, wenn ihm die albanischen Nachbarn immer noch an den Kragen gehen.
Die Mehrzahl seiner 30 Leidensgefährten in der Kfor-Kaserne teilt diesen Vorsatz nicht. Sie wollen schnellstmöglich das Kosovo verlassen - jedenfalls sobald sie ihre wieder aufgebauten Häuser verkauft haben. Sie sind überzeugt, dass auch die Parlamentswahl am Sonnabend den Unruheherd Kosovo nicht in eine Oase friedlichen Zusammenlebens verwandeln kann.
32 Parteien und Bündnisse werden bis dahin um 120 Abgeordnetensitze kämpfen. Bei der letzten Parlamentswahl 2001 hatte die Partei von Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova 45,6 Prozent erzielt und zusammen mit den Parteien der ehemaligen Guerillakämpfer Hashim Thaçi und Ramush Haradinaj die Regierung gebildet. Die ist zwar zutiefst zerstritten, gleich mehrere Notabeln aus der Rugova-Partei verloren bei Attentaten ihr Leben. In einem Punkt aber waren sich selbst Mitglieder, die sich auf undurchsichtigen Wegen von alten Kämpfern in offenbar gut verdienende Wirtschaftsmagnaten verwandelt haben, stets völlig einig: Das Kosovo muss unabhängig, also albanisch werden. Die 22 serbischen Volksvertreter gaben dem Parlament zwar multiethnische Legitimität, Einfluss hatten sie nicht.
Und daran wird sich auch kaum etwas ändern. Die Position der Serben wird sich allenfalls verschlechtern, weil sie von den meisten Politikern aus Belgrad zum Wahlboykott aufgerufen wurden und deshalb voraussichtlich weniger Delegierte als bisher in die Volksvertretung entsenden werden. Solange sie weiterhin von Albanern malträtiert werden, das haben viele Serben erkannt, wird die internationale Gemeinschaft zögern, das Kosovo endgültig den Albanern zu übergeben.
Und die setzen ihrerseits alles daran, Gespräche mit den Serben zu verhindern. Ministerpräsident Bajram Rexhepe und die ehemaligen UÇK-Gladiatoren Thaçi oder Haradinaj berauschen ihre Anhänger auf Wahlveranstaltungen mit dem Versprechen, das Kosovo werde schon bald unabhängig sein. Im Herbst 2005 sei es so weit, und eine Verfassung werde bereits geschrieben, erklärt der ehemalige Bodybuildingtrainer, Bewacher von Geldtransporten, Disco-Rausschmeißer und Kriegsheld Haradinaj im Dorf Junik auf einer Wahlversammlung. Auch eine eigene Armee stehe schon bereit, verkündet er - das 5000 Mann starke Kosovo-Schutzkorps, das sich vor allem aus ehemaligen UÇK-Kämpfern zusammensetzt. Es sollte eigentlich, so hatte sich jedenfalls die Uno das gedacht, als multiethnische Einsatztruppe Serben wie Albaner schützen.
Finster blickende junge Männer, das Kinn energisch vorgestreckt, lassen zu solchen Parolen die roten Fahnen mit dem albanischen Adler im Wind flattern, und die örtlichen islamischen Gemeindevorsteher sitzen in der ersten Reihe. Von einer Rückkehr der Serben in ihre Heimat ist auf solchen Veranstaltungen nicht die Rede, selbstverständlich auch nicht von dem Gerücht, der Redner Haradinaj könne jener "hohe albanische Politiker" sein, welchen die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte noch in diesem Jahr vor das Uno-Tribunal stellen will. Die Juristin klagt darüber, dass sie für ihre Ermittlungen gegen frühere UÇK-Kämpfer nicht einmal bei den Uno-Verwaltern Unterstützung erhält.
Nur wenige Stimmen bedauern das Trauerspiel ethnischer Unversöhnlichkeit. Der Arzt Bujar Bukoshi ("Ich würde die gesamte derzeitige Führung verhaften") oder der Medienunternehmer und Multimillionär Veton Surroi treten zwar auch mit eigenen Parteien an, können aber nur in größeren Städten - und bei der internationalen Gemeinschaft - auf Wohlwollen hoffen. Doch 70 Prozent der albanischen Bevölkerung leben auf dem Lande.
Bukoshi und Surroi sehen die Hauptaufgabe für kosovarische Politiker in der Bekämpfung der Wirtschaftsmisere und einer Arbeitslosigkeit, die bereits sieben von zehn Kosovaren betrifft. Sie überleben vor allem dank der Geldüberweisungen aus dem Ausland oder durch Schwarzarbeit und Schmuggel. In spätestens einem halben Jahr, prophezeit Surroi, werde es nach einem harten Winter eine "soziale Explosion" geben. Dann könnten auch die Büros der Uno-Verwaltung brennen.
Hinzu kommt die unaufhaltsam steigende Kriminalität. Kosovo sei das Zentrum des Drogenschmuggels, behauptet nicht nur der ehemalige Chef des Zollteams zur Schmuggelbekämpfung, Bedri Shabani. Mindestens das Doppelte des Kosovo-Haushalts gehe jährlich allein durch den Schmuggel von Zigaretten, Kaffee, Öl und Benzin verloren. Neue, hochmoderne Tankstellen entstehen überall im Land, an manchen Straßen buchstäblich alle 300 Meter eine.
Shabani behauptet, er habe ohne jeden Erfolg die Unmik jahrelang mit konkreten Angaben über die Schmuggelrouten sowie über die Hintermänner informiert und darüber sogar seinen Job verloren. Zu Unrecht, befand jetzt ein Gericht. Zurück beim Zoll, begrüßt er seine Gäste mit einem bitteren "Willkommen in Kolumbien".
Die meisten Albaner hoffen darauf, dass bei den Verhandlungen über den endgültigen Status der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden Provinz die Amerikaner schon im nächsten Jahr die Unabhängigkeit des Kosovo durchsetzen. Die Begeisterung für die Schutzmacht, die 1999 den Nato-Einsatz gegen Jugoslawien anführte, ist noch immer ungebrochen. Sehr viel häufiger als etwa die EU-Flagge weht das amerikanische Sternenbanner neben der schwarzroten Albanerfahne. Am Bill-Clinton-Boulevard in der Hauptstadt Pristina grüßt überlebensgroß der Ex-Präsident von einer Hauswand herab. Auf dem Dach des Victory-Hotels wird nachts eine Kopie der Freiheitsstatue angestrahlt.
Und selbst wenn die meisten Albaner "sehr wohl wissen, dass die Zukunft des Kosovo in Europa liegt", wie der neue Unmik-Verwalter Sören Jessen-Petersen versichert, geht es ihnen zunächst einmal ausschließlich um den eigenen Staat. Der scheint ihnen seit den März-Unruhen näher gerückt, auch wenn sie sich jetzt gegen den Vorwurf verteidigen müssen, ihrerseits ethnische Minderheiten zu verfolgen.
Schon versprach der amerikanische Präsidentschaftskandidat John Kerry den Kosovo-Albanern die Selbstbestimmung; der ehemalige US-Vermittler Richard Holbrooke äußerte sich noch eindeutiger: Das Kosovo werde unabhängig sein - mit oder ohne die Zustimmung Serbiens. Aber auch in Deutschland scheinen solche Ansichten Freunde zu gewinnen. Vor der jüngsten Kosovo-Reise von Verteidigungsminister Struck hieß es bei Berliner Diplomaten, "dass eine Wiedereingliederung in Serbien keine Lösung sein kann". Der ehemalige Kfor-Kommandeur Klaus Reinhardt befürchtet für diesen Fall einen neuen Krieg.
Für den neuen Kommandeur der deutschen Kfor-Truppen in Pristina, Oberst Erhard Bühler, wäre das eine Horrorvorstellung. Allen sei klar, sagt Bühler, dass man sich weitere Unruhen wie die vom März nicht mehr leisten könne. Damals waren bei den Ausschreitungen 19 Menschen getötet, über 900 verletzt und serbische Kirchen sowie Klöster zerstört worden.
Die 3300 Soldaten im deutschen Kontingent werden deshalb verstärkt für den "Einsatz gegen Demonstranten" trainiert. Pfefferspray traf in diesen Tagen ein, Ausgangssperren für zehn Städte wurden für den "Ernstfall" vorbereitet. 1200 Soldaten können dann innerhalb von 15 Minuten in Prizren sein.
Oberst Bühler hat keine Illusionen: "Die Lage ist unberechenbar, und da die ethnischen Konflikte nicht gelöst sind, ist auch das Unruhepotenzial nicht verschwunden. Die ehemalige UÇK hat noch riesige Waffenlager im Kosovo, alle Einsammelaktionen der Unmik waren ein Flop."
Die mangelnde Bewegungsfreiheit für die Serben lasten viele Kfor-Soldaten wie Uno-Verwalter allerdings nicht nur albanischer Bedrohung an. Auch serbische Nationalisten, allen voran der orthodoxe Bischof Artemije, richten sich in ihrer Opferrolle ein und rüsten die serbischen Enklaven zu Hochburgen eines militanten Nationalismus heran. In diesen von Nato-Stacheldraht gesicherten Zwergstaaten innerhalb des Kosovo, in denen weiterhin der Dinar an Stelle des Euro als Zahlungsmittel dient, wird die Ära des Despoten Slobodan Milosevic gefeiert, als erwarte man täglich dessen glorreiche Rückkehr aus Den Haag.
Auf dem traditionellen Weinfest in Velika Hodza bei Orahovac wurde vergangene Woche nicht nur der berühmt-berüchtigte Amselfelder ausgeschenkt. Einträchtig riefen Kirchenfürsten, Musikgruppen oder Folkloretänzer zum Wahlboykott auf und versprachen, eines Tages werde Kosovo Polje, das historische Schlachtfeld der serbischen Niederlage gegen die Türken, wieder serbisch sein. Am Mittwoch demonstrierten 1000 Kosovo-Serben vor dem Amtssitz des serbischen Präsidenten Boris Tadic in Belgrad gegen dessen Aufruf zur Teilnahme an der Wahl. Bezahlt wurden die Busse aus der Haushaltskasse seines Gegenspielers, des Premiers Voijislav Kostunica, der den Boykott unterstützt.
Die Mehrheit der Serben innerhalb und außerhalb der umstrittenen Provinz könnte sich inzwischen wohl mit einer Teilung der Provinz abfinden. Serbiens Expremier Zoran Zivkovic behauptet jedenfalls, er habe während seiner Amtszeit mit der internationalen Gemeinschaft darüber bereits geheime Gespräche geführt. Auch der ehemalige Außenminister Goran Svilanovic warf der Belgrader Regierung vor, sie wisse längst, dass die verlorene Provinz nicht serbisch bleiben könne.
Sollte jedoch das ganze Kosovo eines Tages unabhängig - und damit albanisch - werden, dann wäre ein Exodus der verbliebenen knapp 90 000 Serben nicht mehr aufzuhalten. Auch Milos Nedic aus Prizren, der bislang eisern auf die Rückkehr in sein erst noch aufzubauendes Haus setzt, reagiert auf die Vorstellung eines unabhängigen Kosovo mit Entsetzen: Ganz ausgeschlossen sei das, in einem solchen Staat könne er niemals leben. Vater German, sein geistlicher Beistand und Monarch des Klosters zum Heiligen Erzengel, nickt dazu beifällig.
RENATE FLOTTAU, HANS HOYNG
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